Achtung Auto!

Kurzbeschreibung

Ein ferngesteuertes gelbes Miniaturcabrio, das mit Plastikkräutern bepflanzt auf Christoph Schwarz‘ Cabriobeet anspielt, fährt auf der Ausstellungseröffnung von „Substanz“ sinnbefreite Runden durchs gut besuchte Künstler*innenhaus. Das namensgebenden Mantra „Achtung Auto“ verdeutlicht die Platzansprüche, die dem motorisierten Individualverkehr in unseren Städten mit größter Selbstverständlichkeit gewährt werden. BesucherInnen der Veranstaltung wurden eingeladen, „Cabriobeet junior“ durch die Räumlichkeiten zu steuern.

„Das Auto als stabilstes Familienmitglied ist das Fundament unserer Gesellschaft und prägt all unsere Lebensbereiche. Für Autos wird Platz gemacht, egal wie sinnlos die Spritztour. Achtung Auto ist aber natürlich gleichzeitig auch Warnung vor dem Abgrund, auf den wir bestens informiert und vollklimatisiert zurasen.“  

Credits

Performance, Österreich 2024
Ausstellungseröffnung „Substanz“ im Künstler*innenhaus Wien, 31.10.2024
Kuratiert von Christian Bazanz-Hegemark & Esther Hladik
Kamera Ramiro Mendes
Fotos eSeL.at / Joanna Pianka 
Postproduktion Christian Schwab

Die alltägliche Banalität des Bösen  
„Achtung Auto“ von Christoph Schwarz
Kilian Jörg, Wien

Normalität entsteht durch Wiederholung. Diese durch die queer-feministische Philosophin Judith Butler popularisierte These trifft leider nicht nur bei gender performances zu, sondern auch bei der Umgestaltung unserer Umwelten, der öffentlichen Räume und gar unserer intimsten Begehren. 

So musste noch der frühe deutsche Autofetischist Otto Julius Bierbaum feststellen, dass „nie in meinem Leben bin ich so viel verflucht worden, wie während meiner Automobilreise im Jahre 1902. Alle deutschen Dialekte von Berlin über Dresden, Wien, München bis Bozen waren daran beteiligt und alle Mundarten des Italienischen von Trient bis Sorrent – gar nicht zu rechnen die stummen Flüche, als das sind: Fäusteschütteln, Zungeherausstrecken, die Hinterfront zeigen und anderes mehr.“

Autofahren – und besonders das Eindringen dieser neuartigen Vehikel in den öffentlichen Raum – erregte vor hundert Jahren noch massiven Widerstand. Wo früher Lynchjustiz und Steinewerfen gegen Autos keine Seltenheit waren, sind wir heute alle so sehr an ihre Omnipräsenz gewohnt, dass wir selbst bei leeren Straßen an roten Ampeln stehen bleiben und uns an die engen Ränder der Gehsteige selbst in Zeiten der Covid-Pandemie drängen, wo viele Gassen zu „Begegnungszonen“ umgewidmet wurden.

In seiner performativen Intervention „Achtung Auto!“ treibt Christoph Schwarz diese Gewöhnung an die automobile Normalität auf die Spitze, in dem er sie im Künstler*innenhaus austellt – und damit sichtbar macht, was zumeist unsichtbar bleibt. Höflich und mit einer Stimmlage, die unanzwiefelbare moralische Selbstverständlichkeit ausdrückt, bittet der Künstler die Besucher*innen nur mal kurz aus dem Weg zu gehen. Es ist die iterative Performance eines alltäglichen Appells an die Vernunft, wie wir ihn alle an den unzählbaren Garageneinfahrten der Stadt kennen. Das Auto muss da halt nur kurz hin, in diesen Raum der mal ursprünglich für Menschen gedacht war. Schon 1941 bemerkte Herbert Marcuse mit Erschrecken, dass in den mechanischen Abläufen des automobilen Verkehrs tatsächliche derjenige ganz objektiv ein Spinner ist, der auf Handlungsfreiheit beharrt. Die heute schon über ein Jahrhundert eingeübte automobile Normalität ist demnach „nicht nur vollkommen rational, sondern auch vollkommen vernünftig“ und „[j]eder Protest ist sinnlos.“[1] Diese Erfahrung sucht nun auch die Besucher*innen im Künstler*innenhaus heim. Die meisten setzen ein souveränes Lächeln des aufgeklärten Kunstverständnisses auf – und gehen ganz freiwillig aus dem Weg. Doch auch diejenigen, die sich zum Protest kaprizieren, steigen nicht besser aus, sondern machen sich im Rahmen des im Kunstkontext Zulässigen nur ein wenig lächerlich. Es war ein amüsanter Abend.

Die Aussage der Intervention von Christoph Schwarz ist einfach, beinahe banal. Doch es ist genau diese Banalität des Normalen, die erst einmal wieder durch solche künstlerische Arbeit sichtbar gemacht werden muss. Denn letztendlich wissen wir doch alle über die Nachteile des Autos bescheid, aber was soll man schon tun? Ein Aufbegehren gegen diese etablierte Ordnung erscheint sinnlos, selbst wenn sie aus ökologischen Blickpunkten immer mehr als eine „Banalität des Bösen“ erscheint, um Hannah Arendts Diktum ins Zeitalter der Katastrophen zu übersetzen. 

Wie finden wir aus dieser toxischen Vernunft heraus? Die Arbeit von Christoph Schwarz lädt ein, sich dieser Frage zumindest einmal als legitim bewusst zu werden. Die Einübung der katastrophalen Normalität wird für die Besucher*innen am eigenen Leib in der Konfrontation mit einem Spielzeugauto fühlbar. Und zu guter Letzt ist es auch sicher nicht zufällig, dass es ein elektrisch betriebener SUV mit einem begrünten Beet ist, der die Besucher*innen der Ausstellung „Substanz“ aufscheucht. Neben der offensichtlichen Referenz auf Schwarz‘ begrüntes „Cabriobeet“, mit dem der Künstler seit Jahren den Beweis antritt, dass ein gelbes Cabrio die unbürokratischste Realisierung eines Hochbeets in Wiener Parkspuren darstellt, weist diese Setzung auch darauf hin, dass das Bild der ökologischen Transformation, wie sie im Mainstream verkauft wird, nicht ausreichend ist, wenn die Normalisierung dieser Art von Vernunft weiterhin wiederholt wird – egal mit welchem Antrieb.  

[1] Volles Zitat: »Ein Mann, der mit dem Auto zu einem weit entfernten Ort reist, wählt seine Route anhand der Autobahnkarten aus. Städte, Seen und Berge erscheinen als Hindernisse, die umfahren werden müssen. Die Landschaft wird durch die Autobahn geformt und geordnet. Zahlreiche Schilder und Plakate sagendem Reisenden, was er zu tun und zu denken hat; sie fordern sogar seine Aufmerksamkeit für die Schönheiten der Natur oder die Wahrzeichen der Geschichte. Das Denken haben andere für ihn übernommen – und das vielleicht zum Besseren. Bequeme Parkplätze wurden dort angelegt, wo der weiteste und überraschendste Blick frei ist. Riesige Werbeplakate weisen ihn darauf hin, wann er anhalten und eine erfrischende Pause einlegen soll. Und all dies ist tatsächlich zu seinem Nutzen, seiner Sicherheit und seinem Komfort; er bekommt, was er will. Wirtschaft, Technik, menschliche Bedürfnisse und Natur sind zu einem einzigen rationalen und zweckmäßigen Mechanismus verschmolzen. Am besten wird es demjenigen ergehen, der den Anweisungen folgt und seine Spontaneität der anonymen Weisheit unterordnet, die alles für ihn geordnet hat. Das Entscheidende ist, dass diese Haltung – die alle Handlungen in eine Abfolge von halbspontanen Reaktionen auf vorgegebene mechanische Normen auflöst – nicht nur vollkommen rational, sondern auch vollkommen vernünftig ist. Jeder Protest ist sinnlos, und der Einzelne, der auf seiner Handlungsfreiheit beharren würde, wäre ein Spinner. Es gibt kein persönliches Entkommen aus dem Apparat, der die Welt mechanisiert und standardisiert hat. Es handelt sich um einen rationalen Apparat, der ein Höchstmaß an Zweckmäßigkeit mit einem Höchstmaß an Bequemlichkeit verbindet, Zeit und Energie spart, Verschwendung vermeidet, alle Mittel dem Zweck anpasst, Konsequenzen vorhersieht, Berechenbarkeit und Sicherheit gewährleistet.« Herbert Marcuse, Some Social Implications of Modern Technology, 1941 – meine Übersetzung

Kilian Jörg, Wien im November 2024
Für eine Langfassung dieser Gedanken siehe mein Buch „Das Auto und die ökologische Katastrophe“ (transcript 2024)
https://www.kilianj.org

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