Der Sender schläft
Kurzbeschreibung
Als weiterer Beitrag aus Schwarz‘ Kurzfilmreihe zu Artist Residencies können wir den Regisseur in „Der Sender schläft“ dabei erleben, wie er für den Kulturkanal ORF III ein „Fernsehkunstwerk“ entwickelt – und dazu seinen Lebensmittelpunkt in eine Atelierwohnung im ORF Zentrum auf den Küniglberg verlegt, in der er sechs Wochen lang lebt und arbeitet. Schwarz deutet dabei ein real existierendes Programm von ORF III („Artist-in-Residence“) als Aufforderung, „den Sender physisch zu spüren“, und führt über seinen Aufenthalt in einem leerstehenden Büro ein Videotagebuch, in dem er selbstreferentiell die Aufgabenstellung thematisiert. Der eigene Anspruch an die gesellschaftspolitische Signifikanz eines Projekts für das Massenmedium Fernsehen steht im krassen Widerspruch zu Schwarz‘ künstlerischem Output – und endet in einer flotten Komödie über die eigene Käuflichkeit.
„Auf FS1 hat sich kaum etwas geändert: amerikanische Serien im Doppelpack, Castingshows, Sport als die Ersatzreligion für Österreichs Männer, die Formel-Eins Saison hat dabei die Funktion des Kirchenjahrs übernommen.“
„Der Sender schläft“ wurde am 11.3. 2013 als erster Beitrag der Reihe „ORF III Artist-in-Residence“ ausgestrahlt.
Credits
Österreich 2013
Dauer: 26min – Format: DCP
Offstimme Lukas Tagwerker
mit Hubsi Kramar, Peter Schöber,
Judith Revers, Jens Lang, Renfah, Johanna Hieblinger, Karo Boehm
Buch & Regie
Christoph Schwarz
Produktion ARGE Schwarz
entstanden in der Reihe
ORFIII Artist-in-Residence
Screenings
Vienna Shorts 2014
Salotto Vienna
Electric Parade, Galerie Freihausgasse Villach
Einzelausstellung Gallery Frey, Wien
Download
Trailer
Interview mit Christoph Schwarz
Presskit
Über „Der Sender schläft“
Judith Revers
Christoph Schwarz betritt den ORF wie alle seine Schauplätze: offen, clever und mit viel Humor. Indem er die öffentlich-rechtliche Anstalt nicht nur mit einem künstlerisch-ästhetischen Blick erforscht, sondern sich auch an ihrer persönlich-menschlichen Komponente interessiert zeigt, bezieht der Künstler tatsächlich Residence im Fernsehen, mit all seinen Facetten vor und hinter der Kamera. Christoph spricht mit den Menschen, die ihm im ORF-Zentrum begegnen. Ausgestattet mit einer handlichen Videokamera, die eher einem Fotoapparat gleicht, beginnt er seine Beobachtungen als embedded artist, und bricht die Scheu seines Gegenübers. Während der Zeit in den ORF-Räumlichkeiten kann Christoph mit seiner gewinnenden Art viele Mitarbeiter_innen zu einem Auftritt in seinem Kunstwerk bewegen. Darunter befinden sich beispielsweise der Chef von ORFIII Peter Schöber sowie Head der ORF-Unterhaltung Andreas Vana. Auch der Schauspieler Hubert Kramar wird in den Plot verwoben, und ist vor der Kamera zu sehen (genauso wie die Autorin dieses Beitrages). Dabei spielen alle Protagonist_innen sich selbst und trotzdem ist in Der Sender schläft nichts wie es scheint. Oder es scheint nichts wie es ist, wie Christoph Schwarz vermutlich sagen würde.
Während der Feiertage um den Jahreswechsel 2012/2013 bezieht der Künstler seine Räumlichkeiten im ORF-Zentrum am Küniglberg. Zwei Zimmer, die durch eine Tür miteinander verbunden sind, konnten organisiert werden, die er sich wohnlich mit Matratzenlager, Plakatvertäfelung und Sitzgelegenheit einrichtet. Auch einen kleinen Kühlschrank gibt es, Telefon und Internetanschluss inklusive. Hier wird Christoph nun, erst für geplante vier aus denen dann sechs Wochen werden, leben und arbeiten. Er ist der erste von zwölf Kunstschaffenden und Künstler_innengruppen, die nach einer internationalen Ausschreibung vom ORFIII Kulturbeirat ausgewählt wurden, im Rahmen des Artist-in-Residence Programms des jungen Info- und Kulturkanals ein Fernsehkunstwerk zu produzieren. In Der Sender schläft präsentiert Christoph Schwarz seine ganz eigene surreal komische und gleichzeitig beklemmend treffende Sicht der Fernseh-Realität. Wir sehen ihn aus dem Bus steigen und einen großen Koffer durch den tiefen Neujahrsschnee ziehen, eine schwere karierte Tasche über die Schulter geschwungen. Christoph wie er sich in seinen Räumlichkeiten einrichtet, wie er durch das leere Gebäude des ORF-Zentrums spaziert, auf einem der Balkone ein Glas Wein trinkt. Dazu eine Stimme aus dem Off, die das Publikum mit kritischen Fragen konfrontiert. Christoph macht sich darüber Gedanken, ob sein Schaffen am Kulturkanal nicht nur „Aktionskunst für einen kleinen Kreis“ sei und sinniert weiter, ob sich die Republik den Kultursender nicht nur als „Feigenblatt und die Szene bei Laune halte“, während „die breite Masse im kulturgeilen Dauerschlaf“ versinke. Und so erkennt der Künstler: Er bespielt den falschen Kanal.
Christoph Schwarz verwebt Realität und Imagination auf einer Ebene, die es dem Publikum nicht leicht macht, zu bestimmen wo das eine aufhört und das andere beginnt. Und man ist ihm dankbar für diese Verschränkung. Gibt es das Farbkodierungssystem im ORF-Archiv wirklich, das ausweist, welche politische Partei die Ausstrahlung des jeweiligen Bandes verhindert hat? Spielen die ORF-Sportredakteure tatsächlich nach getaner Arbeit Fifa-Soccer auf der Playstation? Entwickelt der Künstler eine Sendung, die aus Produktplazierungen besteht, und kann er damit wirklich den Chef der Unterhaltungsabteilung des ORF begeistern? Will Hubsi Kramar die WAZ-Anteile der Kronenzeitung erwerben, um so langfristig die politische Ausrichtung der Zeitung zu beeinflussen? Zeigt Der Sender schläft eine charmante Abfolge von menschenleeren Zwischenräumen in einer Fernsehanstalt und den darin arbeitenden Menschen die vom Schlaf überrascht wurden? Lässt sich der Künstler tatsächlich am Ende seiner Residence vom System korrumpieren? Eines ist klar: Es handelt sich bei diesem Film auf keinen Fall um „ein Stück langatmiger Videokunst“, sondern um ein fesselndes Fernsehkunstwerk mit viel Authentizität im Surrealen. Viel Wahrem in der Fiktion. Christoph Schwarz legt seinen Protagonist_innen Worte in den Mund, die sie so vielleicht nie gesagt hätten, aber sich vermutlich wünschen, gesagt zu haben.
(Judith Revers, März 2014)