Ein Photo aus der Jugendzeit: Freude, Pflanzung und Streetweedibility!
Foto: Christian Schwab

Die innere Erde hat dieses Cabrio berühmt gemacht, im Frühjahr rollt der Straßenkräutzer, wie er auch genannt wird, in seines fünftes Füllungsjahr. Auf sein Konto gehen – bzw. vor allem: stehen – zahlreiche Aktionen, deren durchgegrünte Streetcredibility nicht vom Asphalt zu weisen ist. Weil man um die Politik dieser Tage nicht herumkommt, liegt die Frage nahe, wo das Cabriobeet hier zu verorten ist. Man darf aus der Reaktion schließen: Mitten in der Lebendigkeit aller möglichen Tugenden!

SANDSTRAND: Zu Beginn etwas Formales: wie dürfen wir Sie ansprechen?

Cabriobeet: Frau Beet.

SANDSTRAND: Sie identifizieren sich als Frau?

Cabriobeet: Nein, ich bin ja ein Auto.

SANDSTRAND: Aber?

Cabriobeet: Da ich mit Erde gefüllt bin, identifiziere ich mich – auf spielerischer Ebene – mit Mutter Erde. Von daher: Frau Beet. Zumal Herr Beet Assoziationen ermöglicht, die ich mir gerne ersparen würde.

SANDSTRAND: Kickl?

Cabriobeet: Eben.

SANDSTRAND: Verstehe. Frau Beet, Sie sind jetzt seit bald 4 Jahren mit Erde gefüllt. Ermüdungserscheinungen?

Cabriobeet: Nun, man könnte schon sagen, dass ich etwas am Boden bin. Insofern: alles wie immer.

SANDSTRAND: Könnten Sie das spezifizieren?

Cabriobeet: Naja, eine gewisse Unerfülltheit kann ich nicht verbergen. Schauen Sie mal in meinen Kofferraum.

SANDSTRAND: Was würden wir da finden?

Cabriobeet: Das, was man aktuell bei jedem im Keller findet: unerfüllte Träume, Enttäuschungen, Unsicherheit, extreme Wut auf die Gegenwart, Angst vor der Zukunft, eine Gießkanne.

SANDSTRAND: Gibt es Lichtblicke?

Cabriobeet: Doch. Ohne überheblich klingen zu wollen: ich versuche einer zu sein.

SANDSTRAND: Gutes Stichwort. Wofür stehen Sie im Zeitalter der radikalen Eskalation der Klimakatastrophe?

Cabriobeet: Grundsätzlich: für ein Trotzdem. Dieses Wort ist mir sehr wichtig. Aber auch für Hoffnung. Trotzdem!

SANDSTRAND: Hoffnung? Ist die im Angesicht der Gegenwart nicht fast schon zynisch?

Cabriobeet: Keinesfalls! Schauen Sie: Alles hat ein Ende, jeder ist durch sein Leben mit dem Tod konfrontiert. Wenn Hoffnung zynisch sein könnte, müsste Hoffnung immer zynisch sein. Doch das ist sie nicht. Streng genommen: wüsste ich, dass ich morgen mit einem Totalschaden enterdet in der Schrottpresse lande: hätte ich heute die gleiche Hoffnung. Oder wie es mein Vorbesitzer Viktor Frankl gesagt hat: „Was wäre das schon für ein Leben, dessen Sinn damit stünde und fiele, dass man damit davonkommt!“

SANDSTRAND: Viktor Frankl war Ihr Vorbesitzer? Und ist das tatsächlich ein Frankl-Zitat?

Cabriobeet: Ja und vielleicht. Kann leicht sein, dass er das tatsächlich mal so gesagt hat. Er hat viele solche Sachen gesagt. Eigentlich ständig. Lege jedenfalls meinen Thymian dafür ins Feuer, dass der Satz seinem Welt-, Menschen- und Kräuterbild entsprochen hätte.

SANDSTRAND: Zustimmung hierzu. Aber abseits von Frankl, könnten Sie das mit der Hoffnung und dem Trotzdem aus Ihrer persönlichen Sicht noch etwas näher erläutern?

Cabriobeet: Gerne. Für mich ist es so: wenn grün richtig ist, und rot ist falsch – also jetzt bitte nicht politisch verstehen – und 99 sind rot und nur 1 ist grün. So bleibt grün dennoch ohne jegliche Einschränkung richtig. Verstehen Sie? Und wenn heute mein letzter Tag vor dem Totalschaden wäre, so möchte ich trotzdem das Cabriobeet bleiben das ich bin. Trotzdem. Was auch immer kommen mag. Und sei es der Weltuntergang. Es geht auch um den Geist, der dadurch am Leben bleibt. Und in gewisser Weise: in der Ewigkeit bewahrt bleibt.

SANDSTRAND: Verstehe. Als Sandstrand geht es mir ähnlich. Und das trotz des ständigen Meeresanstiegs.

Cabriobeet: Wobei Sie ja auch unter Wasser weiter Sandstrand bleiben würden, oder?

SANDSTRAND: Ja. Eine Art Leben nach dem Untergang. Aber bevor wir hier zu sehr ins Metaphysische und Religiöse kippen: was haben Sie zuletzt gelesen?

Cabriobeet: Also ich habe ja gegen Metaphysik und Religion nichts einzuwenden. Jedenfalls so wie ich die beiden verstehe. Ehrlich gesagt: die erden mich. Aber wer weiß, ob ihre Leser am Sandstrand damit behelligt werden wollen. Noch dazu bei den Temperaturen! Insofern: “Fahrenheit 451” und „On Tyranny” .

SANDSTRAND: Von Ray Bradbury und Timothy Snyder?

Cabriobeet: Ja, zwei wunderbare kleine Bücher. Die Kraft geben für die Realität der Gegenwart. Nicht zuletzt Kraft im Widerstand gegen die Verbrüderung von Kohlenwasserstoff- und Digitaloligarchie. Widerstand gegen das „Big brave new Heil“!

SANDSTRAND: Sie meinen damit die Kombination dessen, wovor Aldous Huxley, Georg Orwell, Ray Bradbury und Menschen wie Hannah Arendt gewarnt haben?

Cabriobeet: Ja, und vor allem: die Realisierung dessen in der Gegenwart. Vieles von dem, was sich heute Gegenwart schimpft, wäre ja vielleicht sogar Huxley zu dystopisch gewesen.

SANDSTRAND: Bei allem Respekt: kann man das als Auto überhaupt beurteilen? Waren Sie nicht auch mal, in dem Sinne: ein schönes neues Konsumobjekt?

Cabriobeet: Aber das ist es doch gerade! Ich als Cabrio fühle mich innerlich oft weitaus lebendiger und erfüllter als die Menschen, die an mir vorbeihetzen. Da kommt man schon ins Grübeln.

SANDSTRAND: Was macht Ihnen hierbei am meisten Sorgen?

Cabriobeet: Dass die Menschen in der Digitalität versinken und dort, als Einzelwesen vor ihren Bildschirmen isoliert, jeglicher politischen und kommerziellen Manipulation und Propaganda hilflos ausgesetzt sind. Microtargeting nichts dagegen. Würde diese eine Autor sagen. Man sieht das ja an allen Ecken und Enden. Weltweit. Dass die Menschen ihren Mut, ihre Freude, ihre Hoffnung verlieren. Dass sie Objekte werden. Die auf diesen grausigen kalten Plattformen immer nur nochmal verkauft werden. Anstatt gemeinsam auf die Straße zu gehen und dort als individuelle lebendige Subjekte im Kollektiv für ihre Rechte zu kämpfen. Oder zumindest gemeinsam ein Bier trinken. Kräuter anpflanzen. Oder Bäume. Reden, lesen, streiten, spielen, schreiben. Deswegen bin ich ja Treffpunkt! Und organisiere immer wieder, man verzeihe mir den Anglizismus: „Get-Togethers“. Ich möchte die Menschen auf die Straße bringen. Für Aktionen. Für Mut. Für Handlungen. In der realen Welt. 3D statt 2D!

SANDSTRAND: Würden Sie sich insofern als politisches Auto bezeichnen?

Cabriobeet: Ja, natürlich! Cabriobeet sein bedeutet Freude bereiten und Hoffnung verbreiten. Aber natürlich bin ich – bei aller Freude an Verpflanzung, Pflanzerei und Vergrünung – vor allem auch ein politisches Symbol.

SANDSTRAND: Sozusagen ein Symbol des Trotzdem?

Cabriobeet: Durchaus!

SANDSTRAND: Wo würden Sie sich politisch verorten?

Cabriobeet: Genau in der Mitte. Und diese Mitte ist grün und voller Kräuter.

SANDSTRAND: Also doch links?

Cabriobeet: Links oder rechts abbiegen, vorwärts, rückwärts, gerade aus. So lang es dabei aus der Mitte kommt, grün bleibt und mit Mutter Erde im Einklang steht, soll es mir recht sein. Ist es nicht überheblich sich über die Erde, zu erheben? Und wie unfassbar lächerlich! Also grün. Durchaus. Und gerne auch blau wie unser Planet, rot wie Feuer, schwarz wie die Nacht und pink wie ein Punschkrapfen.

SANDSTRAND: Sie meinen „magenta“?

Cabriobeet: Wie der Handytarif? Dann lieber Punschkrapfen!

SANDSTRAND: Jedenfalls eine bunte Mischung.

Cabriobeet: Ja, aber immer im Herzen Mutter Erde vertretend. Und verzeihen Sie, aber: kein Arschloch und kein kompletter Vollidiot sein, hilft halt auch ein wenig. Dann stellen sich viele politische Fragen erst gar nicht.

SANDSTRAND: Wenn Sie ein Tattoo hätten, welches?

Cabriobeet: Naja, ich hatte schon viele. Insbesondere Kinder malen ja gerne auf mir herum …

SANDSTRAND: Auch dauerhafte?

Cabriobeet: Nein. Mit dem habe ich keine Freude. Da werde ich nicht gelb damit. Aber wenn, also nur WENN, dann: „This machine kills fascists“!

SANDSTRAND: Der Spruch von Woody Guthrie´s Gitarre?

Cabriobeet: Genau!

SANDSTRAND: Wo wir gerade bei Musik sind: was hören Sie aktuell?

Cabriobeet: Rage against the machine. Erstes Album.

SANDSTRAND: Ist das Selbstironie?

Cabriobeet: Schon auch. Aber es ist auch Ausdruck meiner Wut, ja meines Hasses über den politischen, gesellschaftlichen und ökologischen (man kann das ja alles nicht trennen) Total-Wahnsinn der Gegenwart. Niemand ist so schön voller lebendigem Zorn geerdet wie Zack de la Rocha 1992.

SANDSTRAND: Aber ist Zorn, Wut und Hass nicht auch gefährlich? Ein Ausdruck von Destruktivität?

Cabriobeet: Gefährlich nur dann, wenn einem diese Gefühle, die nunmal zum Dasein dazu gehören, nicht bewusst sind. Wer sich seines Hasses* bewusst ist, sowohl des berechtigten als auch des unberechtigten, der kann diesen als Energie nutzen. Um die Dinge zum Besseren zu verändern. Gefährlich ist nur der dunkle, verdunkelte, verdrängte, unbewusste Hass, der dann irgendwann ohne Vorwarnung ausbricht und die Welt ins Unglück stürzt. Oder glauben Sie, dass Putin, Musk, Xi, Trump, Zuckerberg, Kickl, Islamisten und Co auch nur irgendwie bewusst ist, wen sie wirklich, also in der Tiefe Ihres Herzens, hassen? Jedenfalls wünsche ich unserer heutigen Jugend, dass die sich ihres – vollkommen berechtigten – Hasses auf den Zustand der Welt, der ihnen von uns übergeben wurde, möglichst bewusst wird. Die Bewusstwerdung von berechtigtem Hass, berechtigter Wut, berechtigtem Zorn, macht lebendig. Gibt uns allen Kraft für Veränderung. Und Kraft für Widerstand. Gerne auch mit ohrenbetäubend lauter Musik. Und das wird mit Sicherheit noch lange nötig sein!

SANDSTRAND: Abschließende Frage: wann beginnt die neue Saison?

Cabriobeet: Saison ist immer! Oder wie es ein guter alter Freund von mir zu sagen pflanzte: Es ist immer jetzt!

SANDSTRAND: Frau Beet, wir danken Ihnen für das Gespräch!

Das Interview wurde gemeinsam mit dem „Sommerreifenprofil“ und der „New Sattledt Times“ geführt. Die Nachbarschaftsinitiative "Cabriobeet", initiiert 2021 vom Wiener Filmemacher Christoph Schwarz, geht Mitte März 2025 in seine 5. Gartensaison.

*Aufgrund einiger wichtiger Rückmeldungen hierzu eine nachträgliche Anmerkung des Cabriobeet:

"Natürlich entsteht aus Hass selbst nie irgendwas Nützliches, Produktives, Sinnvolles. Gemeint war vielmehr, dass durch die Bewusstwerdung von unbewusstem Hass dieser transformiert werden kann: in Energie, Tatkraft, Lebendigkeit, Widerstand, Kreativität. Hierin würden wohl sogar ausnahmsweise Frankl, Freud und C.G. Jung übereinstimmen; jedenfalls soweit ich das als Auto (mit dunklem Innenleben) beurteilen kann."